
Von Bibern lernen
Biologie und Pferde
In unserer Arbeit trifft Equipodo immer wieder auf ein Defizit an biologischem Verständnis für Pferde. Das biologische Verständnis wird allzu oft vom reittechnischen Verständnis überdeckt. Damit soll nicht gesagt, werden, dass das eine besser als das andere ist oder sich beide Sichtweisen automatisch widersprechen. Es kann aber sehr helfen, wenn wir Pferde strikt biologisch betrachten und nicht nur hinsichtlich der reinen Nutzung.
Pferde sind hoch entwickelte Geschöpfe der Evolution, sprich Geschöpfe, die typischen biologischen Prinzipien folgen. Es kann helfen sich diese Prinzipien näher anzuschauen.
Biologie und Biber
Und weil wir von biologischen Prinzipien sprechen, die oftmals über viele Tiergruppen hinweg gelten, schreiben wir hier zuerst von Bibern, ein Tier was wirklich wenig mit dem Pferd gemein hat. Aber der Biber eignet sich so schön um die Widersprüche unseres Handeln aufzuzeigen, das müssen wir einfach nutzen.
Biber sind Nagetiere und deshalb bemerkenswerte Geschöpfe. Sie können mit ihren Zähnen Baumstämme durchnagen, also große Bäume fällen. Dabei bevorzugen sie zwar ganz klar Weichhölzer wie z.B. Pappel und Weiden, aber wenn es denn sein muss, dann fällen sie auch Eichen. So ein Biberzahn ist extrem leistungsfähig, denn jeder Sägewerkbesitzer weiß nur zu gut wie schnell selbst superscharfe Stahlsägeblätter verschleißen, wenn sie sich durch die Bäume arbeiten.
Damit Biber über viele Jahre Bäume fällen können, hat die Natur dem Biber nachwachsende Zähne mitgegeben. Der unvermeidbare Abrieb während des Nageprozesses wird also wieder ausgeglichen.
Aber darin liegt auch eine Tücke der Natur. Was auf der einen Seite so genial gelöst ist, kann sich bei Veränderung der Lebensverhältnisse nachteilig auswirken.
Biologie und Haustier
Wir stellen uns mal vor, der Biber würde von einem wahren Tierfreund zu einem Haustier gemacht. Und weil es der Tierfreund nur schwer ertragen kann, dass der Biber immer so schwer arbeiten muss um an sein Fressen zu kommen und sein Bibergrundstück auch nicht einen riesigen Auwald aufweist, beschließt er den Biber in Zukunft zu füttern.
So bekommt die liebe Biberfamilie jeden Abend einen leckeren Brei aus Weichholzrinde und Blättern, sozusagen eine Rinden-Blätter-Smoothie. Und damit die Mineralstoffbalance des Futters auch optimal abgestimmt ist, mischt der Biberfreund noch ein Mineralfutter zu und vielleicht noch das eine oder andere Vitamin, sprich optimaler ausgeglichen, als das die raue Natur es schaffen kann.
Unseren Bibern gefällt das durchaus, denn Biber schlafen gerne und viel und schlagen sich nicht unbedingt darum Bäume fällen zu müssen. Ist selbst mit mächtigen Nagezähnen echt harte Arbeit.
Leider wurde bei dieser Lösung, also der mit dem Smoothie, das biologische Prinzip des nachwachsenden Zahns vergessen. Das genetische Programm läuft einfach weiter, so als würde der Biber alle fünf Tage einen Baum fällen und harte Rinde von Ästen schälen. Die Zähne wachsen und wachsen bis sie irgendwann das Maul des Bibers blockieren. Der Biber droht zu verhungern, da die Nahrungsaufnahme kaum noch möglich ist.
Der Biberfreund sieht es mit Grausen und trifft eine wichtige Entscheidung. Er beauftragt einen Biberdentisten die Zähne regelmäßig zu kürzen. Das funktioniert auch tatsächlich, da es mittlerweile einen Professor für Biberzahnbehandlung gibt, der Biberdentisten fachkundig ausbildet. So kommt alle 6 Wochen der Biberdentist und schleift die Zähne.
Das alles braucht einen anderen Biberfreund nicht weiter zu interessieren, denn er hat dieses Problem nicht. Seine Haustierbiber haben einen eigenen Wald, in dem sie sich nach Herzenslust austoben, sprich nagen können und müssen. Allerdings gibt es da doch ein Problem. Der Wald weist nur Hartholzbäume auf. Die Biber sind also gezwungen diese zu fällen und zu fressen. Das führt dann leider zu einer zu starken Abnutzung der Zähne. Sie können nicht mehr schnell genug nachwachsen. Auch hier droht dem Biber schweres Leid und ggf. der Tod. Aber unser Professor für Biberzahnheilkunde hat auch dafür eine passende Lösung – die diamantstaubbelegte Keramikkrone. Diese setzt er den zahngeschädigten Bibern ein und schon muss sich auch die härteste Eiche ergeben. Kleiner Nachteil: Die Biberzähne wachsen unter der Krone weiter und schieben die Krone nach und nach vom Zahn, aber das regelt dann wieder der Biberdentist.
Biologie und Zucht
Das Problem unseres dritten Biberfreundes erscheint dann in der Lösung etwas komplexer. Mit großer Freude und Engagement setzt Nummer drei großen Ehrgeiz in die Farbzucht seiner Biber. Er bevorzugte Biber mit einem puscheligen dunklen Fell und stellte schnell fest, dass er diese Puschelbiber zu einem besonders guten Preis an andere Biberfreunde verkaufen kann.
Konsequent züchtet er mit den puscheligsten und dunkelfarbigsten Bibern weiter und sortiert alle anderen ebenso konsequent aus. Es braucht ein paar Generationen, bis er merkt, dass mit seiner Farbzucht die Zahnqualität stark nachlässt. Die Genetik folgt halt allzu oft ihrer eigenen Systematik und nicht einfach nur dem was der Züchter sich wünscht.
Und so nutzten sich die Zähne schneller ab, als sonst bei Bibern üblich. Auch diesem Biberfreund blieb dann der Aufbau mittels Zahnkronen nicht erspart bzw. kaufte er jetzt die neuen Biberrindenblättersmoothies, die es Dank der mittlerweile vielen Biberfreunde ohne eigenen Auwald, zu kaufen gibt. Die Natur passt sich mitunter langsamer an, als die Wirtschaft.
Überhaupt hatte sich längst eine umfängliche Industrie rund um den Biber gebildet, mit künstlichen Biberburgen, Dämmen, Wasserpumpsystemen, Bibermilchersatz, Biberzahnwerkzeuge, Biberschwanzwärmer, Biberfellbürsten usw.
Natürlich hätte der Biberfreud wieder zurück zu puschelarmen und hellen Biberfellen züchten können. Aber das wollte unsere Biberfreund allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht, mal ganz davon abgesehen, dass der Markt, Biber mit schlechten Zähnen längst akzeptiert hatte. Es gab sogar Leute, die behaupteten, dass Biber schon immer schlechte Zähne gehabt hätten und man wildlebende Biber nicht mit dem Haustierbiber vergleichen könne.
Wie blöd sind Menschen eigentlich?
Das genau werden sie sich jetzt denken, wenn sie diesen Text lesen. Worin liegt der Sinn einen Biber als Haustier zu halten? Warum um alles in der Welt bekommt er nicht das Biotop, was er zum Leben braucht? Und warum züchtet man Biber mit schlechten Zähnen? Warum gibt man Bibern Smoothies anstelle von sinnvollem Futter? Und was soll der ganze Quatsch mit der Zahnmedizin für Biber?
Nun ja, der eine oder andere wird sie längst erkannt haben – die Parallelen zu unseren Pferden.
Der Huf ist eine ständig nachwachsendes Organ und damit ist klar, dass es auch einer natürlichen Abnutzung unterliegen sollte. Das wäre bei einem Pferd entweder der starke Abrieb auf harten Böden oder das Abbrechen auf weichen Böden.
Seien wir ehrlich. In Deutschland leben nicht so schrecklich viele Pferde unter Bedingungen, die ein natürliches Gleichgewicht zwischen Nachwachsen und Kürzen herstellen. Unsere Pferde haben also jene Biberproblematik, die uns bei unseren Pferden normal vorkommt, aber bei Bibern absurd. Die Hufe wachsen einfach und werden deshalb durch Fachleute gekürzt. Wir haben halt nicht Biberdentisten, sondern Hufschmiede und Hufpfleger.
Sollten aber die Hufe überlastet werden, sei es durch Haltung oder Reiten, dann bekommen Hufe einen Hufschutz, auch heute noch meistens ein Eisen. Das entspricht den Zahnkronen unserer Biber. Und ja, unter Beschlägen wachsen die Hufe einfach weiter und so müssen die Experten alle 6 Wochen kommen und das abschneiden, was eigentlich einem natürlichen Kürzungsprozess überlassen werden könnte.
Das Züchten ist bei Pferden bezüglich der Hufe ein großes Problem, wie bei unseren Bibern, die Zähne. Bei vielen Rassen wurden und werden die Hufe im Zuchtprogramm sträflich vernachlässigt. Es gibt einen Haufen rassetypische Zuchtkriterien, oft genug ziemlich unwichtige oder gar krankheitsfördernde. Ausgerechnet die Qualität der Hufe spielt in vielen Zuchten keine nennenswerte Rolle. Manche Züchter wissen gar nicht wie gesunde Hufe aussehen.
Es ist auch nicht selten, dass Züchter sich weigern offensichtliche genetisch veranlagte (Huf-)Mängel zu korrigieren. „Das regelt der Hufschmied.“ ist ein gern gehörter Satz. Der Markt akzeptiert den Mangel und kauft trotzdem. Es gibt also keinen Zwang zum Umdenken und die menschliche Vernunft ist längst durch Gewöhnung an einen krankhaften Zustand verdrängt worden.
Also ist es auch nicht anders, als bei unseren dunkelfarbigen Puschelbibern, deren schlechte Zähne dann irgendwann als gottgegeben akzeptiert werden.
Ach ja, wie war das noch? „Unsere Hauspferde könne man nun wirklich nicht mit Wildpferden vergleichen.“, wie bei den Puschelhausbibern halt.
Biologie und der Weg zurück
Aber wir sollten nicht naiv sein. Zurück zur eigentlichen Natur geht auch nicht so einfach. Dagegen sprechen viele Fakten, die wir nicht alle aufzählen wollen. Es reicht vermutlich, wenn wir mal darüber nachdenken, was naturgemäß ein Huf braucht. Selbst wenn wir davon nicht alles erfüllen können, so können wir zumindest einiges im Sinn der natürlichen Regelmechanismen verbessern.
Züchter können den Huf als Kriterium wieder mehr in den Vordergrund stellen. Käufer können ein solches Handeln finanziell belohnen. Halter können dem Huf so oft wie möglich Zeiten ohne Beschlag gönnen. Sie können auch auf hohe Qualität der Bearbeiter achten, wenn es denn schon nicht ohne geht. Reiter können darauf achten die Hufe nicht zu überlasten und auch wenn wir speziell in Deutschland bezüglich der naturnahen Haltung unserer Pferde deutliche Kompromisse eingehen müssen, heißt das noch lange nicht, dass sie in Boxen von 3×4 Metern ihr Leben frissten müssen.
Sie sehen, es kann sich lohnen ein wenig auf die Natur der Pferde zu achten. Wie könnte man auch sagen? „Von Bibern lernen“